Die große Wagnersause — Dienstagabend
Wolfram von Eschenbach, nachts oder frühmorgens, tritt nach draußen auf den Söller, ganz weinselig.
»Ach, du mein lieber, guter alter Abendstern.«
So seufzt er beinahe heiter, aber dann denkt er plötzlich an die tote Elisabeth, und wie das so ist, wenn man betrunken ist: da kippt die Stimmung ganz rasch.
Auch der Tannhäuser tritt auf den Balkon hinaus, und auch er ist in so einer Stimmung, gerade richtig für diese Szene: als hätte er es geahnt, dass die Szene käme.
Wolfi schaut in den Nachthimmel hinauf, und der selige Peter schaut herab auf die beiden, und aus dem Sternenzelt heraus sinnt er in Worten aus Licht:
»Das Leben des Minnedienenden ist ein Leben des Hoffens und Sehnens, des Wünschens und Verlangens, dem keine Erfüllung werden darf: denn Erfüllung wäre das Ende. Gehen um des Weges, nicht um des Zieles willen, leben um der Mühsal, nicht des Erfolges willen: weil das Verlangen und Wünschen uns weitertreibt. Erfüllung ist Stillstand.«
»Oh ja, das ist schön«, findet Wolfi, »und es ist wahr. Und jeder, der Augen danach hat und weiß, der sieht sofort: ah ja, wie schön. Und die es nicht wissen, verpassen halt was.«
Wolfi hält sich also weiter an seinem Credo fest, das die Sterne ihm nach jeder Anrufung zurückflüstern.
»Denn das ist das, was wir machen, Heinrich. Weil wir uns irgendwann dafür entschieden haben, und alles stand schon damals so festgeschrieben, dass es so sein muss.«
»Ja, aber vielleicht sind wir nicht festgeschrieben. Man könnte sich ja ändern. Das, was wir wollen, kann sich ändern.«
»Soll es aber nicht.«
Ach, Wolfi wieder: als wüsste der nicht genau, wo das alles landet, was er nicht haben kann. Auch Heinrich ist nicht überzeugt.
»Warum sollte ich überhaupt etwas suchen, wenn ich schon weiß, ich will es dann nicht haben?«
»Weil es nicht ums Haben geht«, erklärte Wolfi. »Meine Fresse, das habe ich doch oben gerade erklärt. Oder nicht ich, sondern in den Sternen hat es gestanden, ja, und außerdem geht es ja nicht einmal um das Habenwollen, sondern um das Nichthabenkönnen.«
»Und wo ist da der Witz?« will Heinrich wissen.
»Der Witz besteht darin, dass es einzig um die Suche geht, um das Wünschen selbst.«
»Ja, aber wozu?«
»Weil die Erfüllung das Ende ist. Das Ende von allem.«
»Und der Anfang von etwas Neuem?« schlägt Heinrich vor.
»Nein, von nichts Neuem«, beharrt Wolfi. »Nur vom Ende.«
Pause und Blick.
»Und das weißt du besser als ich, möchte ich meinen.«
Wieder Pause. Kein Blick. Höchstens in die fernen Alpen, oder doch in die Richtung, da man sie vermutet.
»Aber das ist doch Quatsch«, hält der Tannhäuser ihm nun vor. »Ich meine jetzt praktisch. Wie hältst du denn das aus?«
Wolfi denkt einen Moment nach, aber nur wegen der so entstehenden Kunstpause: In Wahrheit weiß er natürlich schon von Seite eins an, was er hier und jetzt sagen wird.
»Vielleicht kann ich so gut damit leben, weil ich dich hab: jemanden, der mir vorhält und vorlebt, wie es anders wäre. Und dass es anders eben auch nicht geht. Du lebst das Leid, das ich mir erspare, und dafür brauche ich dich.«
Na bestens. Kann mal jemand in Wolfis Tasche gucken, ob da nicht ein Loch drin steckt? Was der sich da dieser Tage schon reingelogen hat, das müsste doch lange oben herausquellen.
In der Tasche steckt aber nur ein schmales Wapnewski-Bändchen: der hippokratische Eid des Minnesängers.